Montag, 8. November 2010

Zurück von Diwali

Wir sind wieder in Mumbai, der Unialltag ist wieder im vollen Gange.
Wir hatten eine sehr feine Woche in Karnal bei Ankit zu Hause. Damit er auch noch etwas Zeit alleine mit seiner Familie hat, waren Arne und ich außerdem für 2 Tage in Shimla und haben da das kühle Wetter und die tatsächlich saubere Luft genossen.

Delhi und Shimla
Der Flug nach Delhi verlief fast ohne Zwischenfälle. Der Inder hinter mir hat die kleine Packung Tomatenketchup, die beim Frühstück dabei war, zum Platzen gebracht und mich aus Versehen damit geduscht, und die Stewardess hat eine Kanne Tee über meinem Sitz verschüttet. Ansonsten alles prima.

Gepäckband in Delhi. Jedes Land hat so seine Sitten beim Gepäck... Aber so viele in Decken eingewickelte Koffer?

Der Airport hat sogar eine Bushaltestelle, es fahren klimatisierte Busse in die Innenstadt. Allerdings ist die Haltestelle nicht ausgeschildert und das Flughafenpersonal arbeitet mit der Taximafia zusammen. Ankit kennt den Weg...

Die Busse fahren nämlich noch vom alten Terminal ab, das inzwischen stillgelegt ist. Wäre der Betreiber der Busse auf Profit aus, würde man die Busse wohl zum neuen Terminal fahren lassen, aber die Busfirma ist staatlich. Wahrscheinlich hat der Busfahrer auch nie den Hinweis an seine Vorgesetzten gegeben, dass er immer fast leer fährt... Ist ja auch nicht so stressig wie mit einem vollen Bus.

Mit Ankit und Arne für 2 Stunden durch die Stadt, Parathas zu Mittag essen und Metro fahren. Dann geht es vom großen Interstate-Busterminal weiter.

Das sieht so aus.

Über Delhi liegt eine Dicke Staubwolke, und auch außerhalb der Stadt wird es nicht besser. Alle sind am röcheln und husten. Die Luftverschmutzung in der Umgebung ist unbeschreiblich und hat etwas mit den vielen Rikschas zu tun (Zweitakter-Motoren...), den LKW ohne Partikelfilter, den vielen Holzfeuern in den Garküchen, und der Angewohnheit, den Hausmüll (inklusive Plastik) morgens vor dem Haus einfach in Brand zu stecken.

Zum ersten Mal habe ich eine brennende Müllkippe gesehen, leider keine guten Fotos. Drumherum ist ein Slumgebiet, auf dem Müllhaufen sind Leute unterwegs und suchen nach Verwertbarem.

An der Autobahnausfahrt setzt uns der Bus ab, von hier geht es mit Ankit und seinem Gepäck in einer Fahrradrikscha, und Arne und mir in einer anderen Fahrradrikscha zu ihm nach Hause.

Sowohl Ankits Papa als auch seine Mama sprechen gut Englisch, das hatten wir bisher noch nicht bei unseren Besuchen. Papa handelt mit Arzneimitteln und Vitamin- und Sportgetränken und verdient wohl recht gut damit. Das Haus ist extrem gut gepflegt, die zwei Putzfrauen kommen täglich. Das ist auch nötig, in Karnal ist die Luft genauso staubig wie in Delhi (stinkt aber nicht so).

Abendessen und Frühstück sehr reichhaltig, es gibt das Übliche (Chapati, Soßen). Ob es das auch mal in Deutschland gegeben hat, dass es in jedem Haus landesweit jeden Tag genau das gleiche zu Essen gibt?
Trotzdem schmeckt es uns gut, Mama kocht lecker und wir haben in Mumbai vorsorglich für einige Zeit nicht indisch gegessen, um wieder Lust auf Currys zu haben...

Am nächsten Tag düsen Arne und ich nach Shimla, Ankit bleibt bei seiner Familie und genießt die Ruhe vor uns.

Unser Hotel in Shimla. 15€/Nacht für ein Doppelzimmer. Sauber und gepflegt, der Zimmerservice ist etwas aufdringlich und weckt uns spät abends, ob wir nicht noch etwas essen wollten, wir hätten ja noch gar nicht das Hotelrestaurant ausprobiert...

Relikte aus der Kolonialzeit: Eine christliche Kirche, Fachwerkhäuser... und eine Fußgängerzone. Die Luft ist tatsächlich sauber.

So darf ein Urlaub aussehen.

Kühlschrank mit Beinen...

Ausblick.

In Shimla darf man sogar für Alkohol werben.

Und irgendeine riesige Statue von einem Gott steht auf dem Hügel.

Der Bahnhof von Shimla. Schwuppdiwupp zwei Tage rum, gibt nicht viel zu berichten. Von vielen Leuten angeschwatzt, viele neue „Freunde” gemacht... Die interessanteste Unterhaltung mit einem Teeverkäufer:

Er: Sir, where are you coming from?
Wir: Germany.
Er: Ooooooh, dangerous country, very dangerous country.
Wir: (Verwirrter Blick), Why?
Er: (mit freudestrahlendem Blick) Hitler! Hitler!

Gnaaaah. Ab sofort kommen wir wieder aus Finnland.

Nach unten nehmen wir den Zug, wir haben wenigstens im Nachtzug noch Plätze bekommen. Mit Umstieg in Kalka fahren wir über Nacht bis Delhi durch und machen dort noch eine Sightseeing-Tour: Die Metro wurde erweitert, wir können uns jetzt also auch Sachen anschauen, die bei unserer letzten Tour noch außerhalb unserer Reichweite waren.

Im Nachtzug sind außer uns noch ein paar Soldaten unterwegs. Morgens beim Aufstehen unterhält sich der eine kurz mit uns. Die anderen hören mit einem Handy Lieder von Brian Adams. Wie friedlich.
Irgendwann fängt es im Zug an, nach Rauch zu stinken. Ich befürchte schon Feuer im Zug, aber nein: Wir kommen in die Nähe von Delhi. Der Gestank wird bleiben.

Ankunft am Hauptbahnhof von Delhi: Die Plastikmüllhaufen brennen, und unsere Augen auch. Man möchte gar nicht atmen, aber es stinkt einfach überall, und irgendwann muss man doch Luft holen.
In der Metro ist die Luft gefiltert, und der Hauptbahnhof hat sogar auch eine Metrostation. Raus hier, und mit der neu erweiterten Linie in die Außenbezirke. Da gibt es einen großen Komplex aus alten Ruinen. Die meisten Touristen schauen sich nur das große Minarett an und kommen mit dem Taxi, wir kommen von der Metrostation aus zu Fuß. Die achtspurige Straße hat keinen Fußweg, dafür stolpern wir ungeplant in einen Teil des Geländes, den irgendwie keiner benutzt und wo niemals ein Tourist hin kommt.

Mitten in der 10-Millionen-Stadt Delhi ein quadratkilometergroßes Areal komplett für uns. Wir treffen nur ein paar Bauern, die ihre Kühe im Park grasen lassen, und ein paar Wildschweine.

Der Lotus Tempel hat neuerdings auch eine Metrostation in der Nähe. Schauen wir uns auch noch an, zumindest von außen.


Und wir kommen am Dorf der Commonwealth Spiele vorbei. Sieht eher aus wie eine Kaserne, man hat wohl Angst vor Terror. Ich mag das freundliche Tigermaskottchen über dem Stacheldraht...

Von Delhi aus geht es dann mit dem Zug nach Karnal zurück zu Ankit. Unser eigentlicher Besuch zu Diwali beginnt.

Bei Ankit
zu Hause ist es sehr entspannt. Wir stehen alle spät auf (auch die Eltern), Mama macht Frühstück. Ankits Familie ist sehr vernünftig. Papa hilft auch in der Küche, Ankit hilft beim Auftischen, und wenn wir etwas helfen wollen lässt man uns. Sogar die Mama nimmt sich Zeit zum essen, sie ist somit die erste indische Hausfrau, die wir jemals sitzen und essen sehen.
Während wir essen kommt der Milchmann vorbei und bringt frische Milch...
Der Gemüsemann kommt vorbei und bringt Gemüse...
Mama kocht die Milch ab...
Zerkleinert mit dem Stößel frische Gewürze und macht einen Tee daraus...
Bei uns würde Hausfrau oder -mann auf dem Rückweg von der Arbeit schnell etwas aus dem Supermarkt holen.

Mit dem Papa unterhalten wir uns über Familien in Deutschland. Ja, es gibt in Deutschland viele Scheidungskinder und Patchworkfamilien. In Indien gibt es das eigentlich nicht: Ein Ehepaar bleibt zusammen, egal was passiert. Große bunte Familien sind hier üblich, wo fast alle Onkels und Tanten im gleichen Ort wohnen. Kinder ziehen nach der Uni wieder nach Hause oder, wenn sie verheiratet sind, in ein eigenes Haus im gleichen Ort. Der Papa ist sehr stolz darauf.
Welches System macht die Leute glücklicher? Ich weiß es nicht.

Diwali
hat etwas mit Lichtern, Raketen und Böllern zu tun. Es geht eigentlich darum, dem Gott Rama den Weg zu erleuchten und findet immer in einer Neumondnacht statt. Wikipedia weiß mehr.
Ganz wichtig ist, das Haus komplett zu beleuchten.

Vom Dach aus die Ketten aufhängen...

Wenn man mehr Lichterketten als Verteilerdosen hat, muss man da auch nicht zimperlich sein. Der Papa von Ankit macht mit und kommentiert: "You have to use your engineering skills!"
Kein Ding, machen wir.

Und so wird bei Nacht aus dem Haus von Ankits Eltern...

...das hier.

Wir ziehen abends durch die Stadt und machen Fotos von anderen Häusern. Arnes Kamera kann das besser, ich hoffe er bloggt auch bald. Bis dahin ein kleiner Vorgeschmack...

Vieles hiervon blinkt oder hat andere Lichteffekte.


Fast wie Weihnachten. Nur anders.

Diwali hat abgesehen davon ein paar Ähnlichkeiten mit Weihnachten. Es ist das Fest der Familie. Zwar besucht man sich an einem der Tage gegenseitig, der Hauptabend wird aber eigentlich im engsten Kreis gefeiert. Es ist für uns eine große Ehre, dass wir dabei sein dürfen. Würden wir zu Heiligabend einen Freund von der Uni einladen, der noch nicht einmal die Sprache kann? Ich weiß es nicht. Sehr nett auf jeden Fall.

Wir haben nicht die ganze Zeit rumgeknipst, aber um ein Foto haben wir doch gebeten. Im Hintergrund eine wild blinkende Plastikfigur eines Gottes, dem viele Speisen geopfert werden. Dazu werden sie vor der Figur aufgebaut und mit Blüten beworfen... und hinterher von uns aufgegessen. Ein Glück :-)

Und noch eine Ehre wird uns zuteil. Abgesehen von den üblichen Feiertagen gibt es noch einen Tempel, der nur der Familie gehört und in dem noch nie ein Gast gewesen ist, der nicht Teil der Familie war. Wir dürfen mitkommen.

Der Tempel liegt in der Nähe von dem Dorf, aus dem Ankits Papa kommt, etwa 30km von Karnal. Drinnen habe ich nicht fotografiert.

Beim Rauskommen aber schon. Die Großfamilie inklusive Großonkel, Cousinen und überhaupt.

Im Dorf ziehen wir viele Schaulustige an. Ankit muss erklären, wer wir sind...

In Papas Büro kommen wir auch noch vorbei. Die Mitarbeiter bekommen heute Geschenke.

Am Abend des letzten Tages geht es so ähnlich zu wie bei uns zu Silvester. Es wird geböllert und mit Raketen geschossen. Ankits Eltern und wir mögen die Böller nicht so sehr und schauen lieber dem Feuerwerk zu, dass andere produzieren. Einer von den Onkeln von Ankit ist aber extrem furchtlos. Mit dem Säugling auf dem Arm über den Knaller gebäugt und mir der Wunderkerze daran herumgefriemelt - kein Grund zur Sorge. Funken fliegen dem Kleinen in den Nacken? Schnell wegwischen, weitermachen. Er will uns zum Mitmachen überreden, sogar kleine Kinder würden mit Böllern spielen. Mag sein. Wir aber nicht. Wenigstens nicht in Indien.
10cm lange Zündschnüre, die manchmal eine Minute lang glimmen - Manchmal geht der Böller aber auch sofort los, wenn man die Zündschnur berührt. Sprühfackeln, die plötzlich am Handgriff seitlich heraus brennen. Vulkane, die meistens zwar schön Feuer nach oben spucken, manchmal aber auch einfach am Stück explodieren. Ich frage, ob es in Indien auch Sicherheitsstandards für Kracher gibt. Klar, sagt man mir, es gibt da zwei Firmen, die für ihre eigenen Produkte Standards definiert hätten.
Die Böller machen Druckwellen, die ich 10 Meter weiter noch im Bauch spüre, überall sind Auto-Alarmanlagen am Durchdrehen. In dem ganzen Chaos sammeln ein paar Frauen in Lumpen die halb verbrannten Böller ein und sammeln sie in einem Karren. Irgendwo muss man damit wohl Geld machen können. Das wäre dann das Äquivalent zu unseren Flaschensammlern...

Allerdings ist das Feuerwerk abwechslungsreicher als bei uns. Die meisten Raketen kommen aus kleinen Betrieben. Das ist in Indien durch alle Branchen hindurch sehr üblich: Viel mehr Leute machen sich selbstständig. Allein Mumbai hat mehrere tausend Chemieunternehmen, die meisten mit nur einer Handvoll Mitarbeitern. Ankits Papa ist auch so ein Beispiel: Er hat eine eigene Fabrik für Vitamintabletten, aber nur um die 4 Mitarbeiter. Das erklärt auch, warum Umweltverschmutzung oder Qualitäts- und Sicherheitsstandards hier viel schwerer zu kontrollieren sind als bei uns: Jeder macht sein eigenes Ding, und auch wenn Ankits Papa sich wahrscheinlich um Hygiene Gedanken macht, gibt es zehn andere, die es nicht tun. Auf jeden Privatmann, der sich in seinem Hinterhof einen Schadstofffilter an seinen privaten Chemiereaktor geschweißt hat kommen hundert, die sich nicht darum kümmern oder nicht einmal Geld dafür haben. Als großes Unternehmen kann man so etwas nicht bringen...
So ähnlich stelle ich mir auch die Firmen her, die in Nordindien die Knaller herstellen: in einer Garage sitzen zwei Leute und wickeln Sprengstoff in Pappe. Sind dabei aber teilweise sehr kreativ: Raketen, die hoch oben am Himmel anfangen, schnell zu rotieren und im Sekundentakt rundherum in einer anderen Farbe Funken heraussprengen und dergleichen... In Deutschland ist jede zweite Rakete von Aldi und sieht genau so aus wie jede andere Rakete von Aldi.

Draußen tun uns bald die Ohren weh. Rein gehen geht aber nicht: Drinnen gibt es Essen. Wer das Essen ablehnt, wird von der Tante eben gefüttert. So ist das hier. Schnell wieder raus in den Lärm, der Bauch ist zu voll.

Aus dem Dorf von Ankits Papa haben wir außerdem Guaven bekommen, von dem Baum, denk Ankits Großvater gepflanzt hat. Die Guaven sind innen rosa, das ist etwas Besonderes und hängt wohl mit der Sorte zusammen. Schmecken tun sie auf jeden Fall gut.

Am Samstag setzen wir uns in den Zug nach Mumbai. Die Fahrt dauert 24 Stunden und 5 Minuten. Der Zug ist sauber. Wir haben vor 2 1/2 Monaten gebucht, das war etwas spät, wir haben nur noch erste Klasse bekommen. Dafür haben wir jetzt auch eine Dusche an Bord. Mit uns im Abteil ist eine ältere Dame, die mit ihrem Handy Musik hört und sich mit dem Schaffner streitet, sonst aber sehr friedlich ist.

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